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Gefährlicher Riss im Herzen

Kaum Risikofaktoren und trotzdem Herzinfarkt? Bei der spontanen Koronargefäßdissektion ist das oft der Fall. Vor allem Frauen sind betroffen.

Was passiert bei einer Koronardissektion?

Unter einer spontanen Koronar(gefäß)dissektion versteht man eine spontan auftretende Spaltung einzelner Wandschichten eines Herzkranzgefäßes. Sie kommt durch zwei Mechanismen zustande:

  • Einriss der Innenhaut (Intima) des Gefäßes
  • Platzen (Ruptur) eines kleinen Gefäßes in der Gefäßwand

Unter beiden Umständen kommt es zur Einblutung in die Gefäßwand und infolgedessen zu einer Blutansammlung (Hämatom, Bluterguss). Dieser Bluterguss führt dann dazu, dass sich der Innenraum des Gefäßes verengt und der normale Blutfluss behindert wird. Es kommt zur Minderversorgung des Herzmuskels mit Blut und Sauerstoff (Ischämie) beziehungsweise bei vollständiger Blockade des Gefäßes zum Herzinfarkt. Das Auffällige dabei: Die Gefäßwand ist nicht durch atherosklerotische Ablagerungen (Plaques) geschädigt. Das Gefährliche: Der Riss breitet sich hier durch eine oft geweblich geschwächte, aber plaquefreie, glatte Wandstruktur besonders weit aus.

Wie macht sich die Koronardissektion bemerkbar?

Leitsymptom ist der Thoraxschmerz (Schmerzen im Brustkorb). In Abhängigkeit vom Ausmaß der Durchblutungsstörung kommt es bei etwa 30 Prozent der Betroffenen zu einem Herzinfarkt, bei dem sich neben den infarkttypischen Beschwerden und einer positiven Labordiagnostik im EKG ein typisches Bild zeigt: eine Hebung der ST-Strecke (sogenannter STEMI = ST-Hebungsinfarkt).

EKG bei Koronardissektion
STEMI (ST-Strecken-Hebungsinfarkt) bei einem Patienten mit ausgeprägten Brustschmerzen. Man sieht deutlich im Vergleich zu einem normalen EKG (rechts) die angehobene sogenannte ST-Strecke (Pfeil).

Bei den übrigen 70 Prozent kommt es zu einem akuten Koronarsyndrom. Dieses ist im EKG durch variable ST-Strecken und T-Wellenveränderungen gekennzeichnet (sogenannter NSTEMI = Nicht-ST-Hebungsinfarkt). Als Komplikation der Durchblutungsstörung können zudem lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen in der Herzkammer auftreten, in ganz seltenen Fällen (weniger als ein Prozent) kommt es auch zu einem plötzlichen Herztod. 

Wie häufig tritt eine Koronardissektion auf?

Insgesamt handelt es sich bei einer Koronar(gefäß)dissektion um ein seltenes kardiales Ereignis. Beim akuten Koronarsyndrom wird eine Häufigkeit von etwa ein bis vier Prozent angegeben. Allerdings ist die Dunkelziffer hoch, da vielfach die Diagnose nicht gestellt wird – und damit auch die Therapie unter Umständen verspätet beginnt.

Gerade bei bestimmten Patientengruppen sollte aber unbedingt an die Möglichkeit eines solchen spontanen Gefäßrisses gedacht werden, da hier mit einer größeren Häufigkeit zu rechnen ist. Dies ist vor allem der Fall:

  1. bei jungen Patientinnen (<50. Lebensjahr), bei denen sonst keine kardiovaskulären Risikofaktoren vorliegen. So soll bei etwa jeder dritten Frau unter 50 Jahren mit einem akuten Koronarsyndrom eine Koronargefäßdissektion als Ursache vorliegen.
  2. während oder kurz nach einer Schwangerschaft (1,8 Koronardissektionen pro 100.000 Schwangerschaften)

Wodurch entsteht die akute Koronardissektion?

Meist kommen bei einer akuten Koronar(gefäß)dissektion verschiedene Faktoren zusammen: ein Mix aus Veranlagung und starker körperlicher und/oder emotionaler Belastung. Zu unterscheiden sind daher die Ursachen und die Auslöser.

Häufigste Ursache ist die sogenannte fibromuskuläre Dysplasie des Koronargefäßes. Hierbei handelt es sich um einen fehlerhaften Aufbau der Gefäßwand an der Stelle, an der die Aufspaltung auftritt. Weitere Ursachen sind hormonelle Einflüsse, die die Gefäßinnenwand schwächen:

  • Schwangerschaft (hier wirken Hormone plus erhöhte Gefäßbelastung u.a. durch vermehrtes Blutvolumen zusammen),
  • Unfruchtbarkeitsbehandlungen,
  • postmenopausale Hormontherapie und
  • orale Kontrazeption.

Auch weitere seltene Ursachen sind möglich: erblich bedingte Bindegewebserkrankungen und chronisch-systemische Entzündungsreaktionen.

Auslöser können dann sein:

  • intensiver psychischer Stress
  • extreme physische Belastungen (z.B. statische Kraftübungen oder das Pressen während der Geburt)
  • Drogenabusus mit Kokain, Amphetaminen und Metamphetaminen.

Wie stellt man die Diagnose?

Liegen die oben genannten Risikofaktoren vor, sollte schon bei entsprechender Konstellation an eine Koronargefäßdissektion als Ursache eines akuten Koronarsyndroms oder eines Herzinfarktes gedacht werden. Der diagnostische Ablauf ist dann aber zunächst identisch wie bei einem atherosklerotisch bedingten Herzinfarkt.

Grundsätzlich ist – neben EKG-Befund und Bestimmung des kardialen Biomarkers T-Troponin – bei einem akuten Herzinfarkt (STEMI) wie auch beim akuten Koronarsyndrom (NSTEMI) zur Diagnosestellung als bildgebendes Verfahren eine Koronarangiographie (Herzkatheter; Röntgenuntersuchung der Herzkranzgefäße) notwendig. Der Vorteil einer Koronarangiographie ist, dass damit auch eine spontane Koronargefäßdissektion dargestellt werden kann. Am häufigsten treten die Gefäßdissektionen im mittleren Anteil des Herzkranzgefäßes auf, das an der Vorderseite des Herzens verläuft.

Dennoch ist die Unterscheidung zwischen der Ruptur eines atherosklerotischen Plaque und einer Gefäßdissektion nicht einfach. Eindeutig kann die Diagnose gestellt werden, wenn ein Teil der gespaltenen Gefäßmembran im Gefäßinneren erkennbar ist. Ein indirekter Hinweis ist das Vorliegen einer langstreckigen „glatten“ Einengung eines großen Gefäßes bei ansonsten völlig unauffälligen Koronararterien.

In vielen Fällen kann der letztliche Nachweis nur durch zusätzliche Maßnahmen während der Koronarangiographie erbracht werden, zum Beispiel durch einen intravaskulären Ultraschall oder durch eine optische Kohärenztomographie (OCT). Bei diesem Verfahren werden die diagnostischen Instrumente direkt in das Herzkranzgefäß eingebracht, um ein Bild der defekten Membran zu erhalten.

Wie wird bei einer Koronardissektion behandelt?

Zur medikamentösen Basistherapie werden beim akuten Koronarsyndrom als Folge der Koronardissektion wie auch beim akuten Herzinfarkt zunächst zur Blutverdünnung Heparin und ASS verabreicht. Beim Herzinfarkt muss zusätzlich zur Gabe von Heparin und ASS zudem eine sofortige perkutane Koronarintervention (PCI) zur Revaskularisierung durchgeführt werden. Bei einem akuten Koronarsyndrom sollte dies nach Möglichkeit innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn erfolgen.

Manchmal ist das Gefäß bei dem Herzkatheter-Eingriff dann schon zum Teil von alleine wiedereröffnet (Spontanauflösung des Blutgerinnsels). Beim Herzinfarkt mit ST-Streckenhebung findet sich allerdings meist ein thrombotisch komplett verschlossenes Gefäß. Im Rahmen der Infarktbehandlung wird dann die Verschlussstelle über den Herzkatheter zunächst mit einem dünnen und weichen Draht passiert, was meist problemlos möglich.

Liegt hingegen eine Koronargefäßdissektion vor, ist die Passage meist erschwert. Häufig verfängt sich der Draht im Spalt des defekten Gefäßes und kann dann nicht weiter vorgeschoben werden. Medizinisch spricht man dann auch vom „Draht im falschen Lumen“. Der behandelnde Arzt muss daher sehr vorsichtig vorgehen, um das Gefäß nicht weiter zu verletzen. Bei korrekt liegendem Führungsdraht kann anschließend die Verschlussstelle aufgeweitet und die defekte Gefäßmembran durch einen Stent wieder angelegt werden.

Gelingt dies jedoch nicht, kann bei ausgedehnten Infarktzonen und/oder schwerer Ischämie auch sofort eine Bypass-Operation notwendig werden.

Bei klinisch stabilen Patienten ohne Hinweis auf eine anhaltende Ischämie ist eine sogenannte konservative Therapie die bevorzugte Strategie. Hierbei werden die Patienten während eines verlängerten Aufenthaltes in der Klinik über etwa fünf Tage nachbeobachtet, um mögliche Komplikationen schnell behandeln zu können. Bei einer nur gering ausgeprägten Koronardissektion kann während dieser Phase der Riss ausheilen.

Mit Medikamenten weiter schützen

Die weitere medikamentöse Therapie besteht dann aus der täglichen Einnahme von 100 Milligramm ASS (Acetylsalicylsäure). Nach einer Stentimplantation wird eine zusätzliche Plättchenhemmung – bevorzugt mit Clopidogrel – verordnet. Betarezeptorenblocker sollen darüber hinaus das Risiko für eine erneute Koronardissektion senken.

Kardiologische Reha stützt die Psyche

Eine kardiologische Rehabilitationsbehandlung nach einer spontanen schweren Koronardissektion hilft Betroffenen, nicht nur körperlich wieder auf die Beine zu kommen. Da etliche Betroffene Ängste oder eine Depression nach diesem völlig unerwarteten kritischen Ereignis entwickeln, ist hier vor allem die psychologische Betreuung hilfreich.

Fazit

Über 95 Prozent der Patienten mit spontaner Koronargefäßdissektion überleben langfristig. Allerdings bleibt ein erhöhtes Risiko, dass es in den nächsten zehn Jahren zu einem relevanten kardialen Ereignis kommt, so dass regelmäßige Kontrollen des Herzens ähnlich wie bei einer koronaren Herzerkrankung ratsam sind. Gefährdet sind Patienten durch frühe (innerhalb von 30 Tagen) und späte Rückfälle (Rezidive). Bei den frühen Rezidiven handelt es sich in der Regel um eine weitere Ausbreitung des ersten Blutergusses (Hämatoms), bei den späten Rezidiven um eine neu aufgetretene Dissektion an anderer Stelle des Koronargefäßsystems.

Experte

Prof. Dr. med. Thomas Meinertz
Portrait von Prof. Thomas Meinertz

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