Die meisten herzkranken Kinder sind körperlich belastbar
Über die körperliche Belastbarkeit von Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern war lange Zeit wenig bekannt. Häufig wurden Kinder geschont, um ihrem Herzen nicht zu viel zuzumuten. Inzwischen ist jedoch erwiesen, dass Sport nicht nur für gesunde, sondern auch für herzkranke Heranwachsende sehr wichtig ist. Studien haben ergeben, dass etwa 85 Prozent der Kinder mit einem angeborenen Herzfehler voll sporttauglich sind – und das sollte genutzt werden. Denn beim Sport geht es nicht nur um körperliche Betätigung, sondern auch darum, den Kindern Selbstvertrauen, Mut und ein Gefühl für den eigenen Körper zu geben. Ein angeborener Herzfehler steht Sport also in der Regel nicht im Wege. Operative und interventionelle Korrekturen erfolgen heute üblicherweise im Neugeborenen- oder Kleinkindalter. Sehr viele Herzfehler können vollständig korrigiert werden, sodass keine oder nur geringe Restbefunde vorliegen. Ist das der Fall und haben sich die Kinder von dem Eingriff erholt, sind sie in der Regel voll belastbar und bedürfen keiner Einschränkung hinsichtlich ihrer Bewegungsaktivitäten. Sie können meist unproblematisch am Schulsport, Freizeitsport und alle anderen spielerischen Aktivitäten teilnehmen.
Herzkranke Kinder nicht vom Schulsport ausgrenzen
Leider wird herzkranken Kindern auch heute noch häufig pauschal ein Sportverbot für die Schule ausgestellt. Die betroffenen Kinder empfinden das jedoch selten als Erleichterung, sondern vielmehr als Ausgrenzung. Mit einer allgemeinen Sportbefreiung wird ihnen suggeriert, nicht mit den Klassenkameradinnen und -kameraden mithalten zu können – und das völlig ohne Grund. Denn eine Sportbefreiung ist in vielen Fällen gar nicht nötig. Eltern sollten die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt deshalb um eine möglichst individuelle und auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Kindes abgestimmte differenzierte Einschätzung zur Sporttauglichkeit bitten.
Nur selten ist ein vollständiger Sportverzicht nötig
Sportlich einschränken müssen sich in der Regel tatsächlich nur Kinder mit schweren Herzfehlern, die nur unvollständig korrigiert werden konnten und deshalb bedeutende Restbefunde aufweisen. Diese Kinder sollten beispielsweise keinen leistungsorientierten Sport treiben. Kinder mit problematischen Dauertherapien, insbesondere Schrittmacherimplantation und Antikoagulation (Gabe von gerinnungshemmenden Medikamenten), sollten keine verletzungsträchtigen Sportarten und keine Kontaktsportarten betreiben.
Sport ja oder nein? Der Restbefund ist entscheidend
Bei allen allgemeinen Empfehlungen gilt natürlich: Jedes Kind ist anders und die Entscheidung für oder gegen Sport muss individuell und in Absprache mit der Ärztin oder dem Arzt getroffen werden. Hierbei wird in der Regel der Restbefund des Kindes angeschaut, der nach einem korrigierenden Eingriff vorhanden ist. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Sporttauglichkeit nach Krankheitsbildern zu klassifizieren oder sich an den Behandlungsmaßnahmen zu orientieren (z.B. Herzschrittmacher oder Defibrillator).
Generell gilt folgende Einschätzung:
Sport uneingeschränkt möglich
Sport nicht leistungsorientiert möglich, im Alltag normal belastbar, keine statischen Sportarten
Sport eingeschränkt möglich, Belastbarkeit im Alltag eingeschränkt
Kein Sport möglich
*Ein vital gefährdender Befund ist beispielsweise die katecholaminsensitive polymorphe ventrikuläre Tachykardie (CPVT). Bei einer solchen Erkrankung ist sportliche Betätigung lebensgefährlich, da diese Kinder unter körperlicher Belastung ihre lebensgefährdenden Rhythmusstörungen entwickeln.
Welcher Sport kommt für herzkranke Kinder in Frage?
Kinder im Vorschulalter sollten vielfältige spielerische Aktivitäten ausüben, um die Koordination zu schulen und Bewegungs- sowie Wahrnehmungserfahrungen sammeln zu können. Für ihre psychosoziale Entwicklung ist es wichtig, dass betroffene Kinder mit Gleichaltrigen spielen und bei deren Aktivitäten mitmachen. Es erhöht ihr Selbstwertgefühl und ihre Lebensqualität. Ob Kickboard, Longboard oder Inliner – ältere Kinder mit Herzfehler sollten möglichst all das tun, was gesunde Kinder auch gerne mögen. Generell gilt, dass herzkranke Kinder eher dynamische als statische Sportarten ausüben sollten. Als dynamisch gelten beispielsweise:
- Laufen
- Radfahren
- Inlineskating
- Ball- und Fangspiele
- Mannschaftsspiele mit hohem Laufanteil
Sport? Klar! Aber vorher zur Untersuchung!
Bevor herzkranke Kinder Sport treiben, wird empfohlen, einige Untersuchungen bei der Kinderkardiologin oder dem Kinderkardiologen durchführen zu lassen:
- Ruhe- und Langzeit-EKG
- Ultraschalluntersuchung des Herzens
- Belastungsuntersuchung mit Ergometrie oder Spiroergometrie
Auf Basis der Untersuchungsergebnisse kann die Ärztin oder der Arzt eine Sportempfehlung aussprechen.
Gemeinsam trainieren in Kinderherzsportgruppen
Viele Eltern machen sich verständlicherweise große Sorgen um ihr herzkrankes Kind und sind verunsichert, inwieweit Sport tatsächlich ratsam ist – oder eben nicht. Wichtig ist es hier, dass Eltern ihren Kindern mit dieser Schonung keinen Stempel aufdrücken und ihnen das Gefühl geben, eingeschränkt zu sein. Sind Eltern zu behütend und wachsam, spüren Kinder das in der Regel und halten sich – manchmal unbewusst – von selbst in ihren Bewegungen zurück, obwohl sie es gar nicht müssten. Untersuchungen haben festgestellt, dass herzkranke Kinder im Vergleich zu gesunden im Bereich der Grobmotorik Defizite aufweisen, weil sie sich nicht ausreichend bewegen. Wenn bereits solche Defizite bestehen, ist eine psychomotorische Förderung zu empfehlen. Eine solche Förderung kann beispielsweise in einer Kinderherzsportgruppe stattfinden. Die Teilnahme sollte so früh wie möglich beginnen. Optimal ist es, wenn die Kinder damit starten, bevor sie in die Schule gehen. Diese Kinderherzsportgruppen werden ärztlich überwacht und bieten einen geschützten Raum, um Defizite aufzuholen, Fähigkeiten zu erweitern und Belastungsgrenzen auszuloten. Eine Dauereinrichtung sollten diese Sportgruppe allerdings nicht sein. Es ist erstrebenswert, dass Kinder möglichst zügig uneingeschränkt beim Schulsport mitmachen können und Mitglied in einem Sportverein werden.
Experte
- 60323 Frankfurt am Main
- info@herzstiftung.de
- www.kardiologie-meinertz-jaeckle.de/
Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.
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